Donnerstag, 21. Juni 2012

gTLDs wie sie lustig sind...

Heute Vor kurzem :) hat die ICANN eine Liste veröffentlicht, in der die Anträge für neue generische Top Level Domain (also das, was "ganz am Ende" einer Domain kommt, wie bisher z.B. .de, .net, .com) aufgelistet sind.

Wem der folgende Text zu lang ist, für den habe ich unten in bester Sascha Lobo-Manier die Quintessenz dieses Blogposts zusammengeschrieben. Für die Harten gehts normal weiter:

Nun kann man grundsätzlich geteilter Meinung zu neuen TLDs sein (von "überflüssig wie ein Kropf" zu "jede Familie braucht seine eigene TLD"), und grundsätzlich bin ich persönlich der Meinung "manche TLDs könnten schon nützlich sein".

Einführendes

Grundsätzlich stellt das Domain Name System ein Verfahren dar, um sich IP-Adressen nicht merken zu müssen, quasi eine Art "ins Netz integriertes Telefonbuch". Man gibt einen Namen ein und das restliche System kümmert sich um die Umwandlung in IP-Adressen.

Da es aber sehr viele mögliche IP-Adressen gibt (Größenordnung: Milliarden) empfiehlt sich eine hierarchische Struktur bei der Namensverwaltung, sonst müsste irgendwann ein Anbieter für alle IP-Adressen die Zuordnung liefern. Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass man eine Partition einführen muss, also den Namensraum irgendwie aufteilen.

Auf oberster Ebene hat man sich daher zu Beginn mal einige sogenannte TLDs einfallen lassen (daher auch der Name Top Level Domain – oberste Ebene der Hierarchie), z.B. naheliegenderweise für jedes Land ein Kürzel (denn dann könnte man ggf. die Verantwortlichkeiten hierfür auch gleich geographisch ein wenig entzerren) sowie beispielsweise .net (ursprünglich für Netzverwaltungseinrichtungen gedacht), .com (für Unternehmen, die ja nicht unbedingt auch nur in einem Land aktiv sind) und so weiter.

Nun endet eine Hierarchie nicht schon zwangsweise bei der ersten Stufe (die man oben definiert hat) - man kann weitere Ebenen hinzunehmen (und die durchnummerieren, z.B. Second Level Domain für das, was unmittelbar unter der TLD folgt, bei www.example.com also example), und die Betreiber des entsprechenden Namensraums (z.B. die DENIC für die de-TLD) können sich Regeln geben, nach denen sie diese Second Level Domains wieder an andere weiterdelegieren. Der Eigentümer dieser Second Level Domain kann selbst auch wieder Unternamensräume weitergeben und so weiter und so fort.

Tadaa, Namensprobleme gelöst :) ...

Probleme

... zumindest zu Beginn des Netzes, und aus Sicht der Techniker. Problematisch wird diese ganze Namensaufteilerei, wenn die Technik dann auf die Realität trifft, die leider alles andere als vernünftig ist.

Durch das verteilte System konnte man sich beispielsweise hier in Deutschland beim DENIC eine .de-Domain holen (z.B. coke.de) und dort seine Inhalte bereit stellen (z.B. eine Infoseite über Kokain-Missbrauch bei deutschen Bankangestellten).

Jenseits des großen Teichs konnte sich die Firma The Coca-Cola Company die Domain coke.com vom Verwalter der com-TLD mieten und dort über ihre Erfrischungsgetränke informieren.

So lange die Nachfrage nach Inhalten im Netz gering war, störte man sich da nicht unbedingt daran. Aber dann boomte das Internet, und große Firmen waren plötzlich daran interessiert, dass ihre potenziellen Kunden auch bei ihnen landeten (und nicht bei drogenkonsumierenden Bankern) – die Markenanwälte kamen ins Spiel.

Meinem Gefühl nach besteht seit dieser Boom-Zeit gesteigertes Bedürfnis nach "tollen" Domainnamen, um Kunden zu gewinnen und auch zu binden, und es entstand auch ein florierender Handel mit solchen Namen (Stichwort "Domaingrabber"), da Unternehmen bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen für etwas, von dem sie sich Gewinnsteigerungen versprechen.

Gibt man heute coke.de ein, landet man auf einem deutschsprachigen Angebot der Firma, bei coke.it sollte man italienisch beherrschen und coke.com dürfte wohl der Stammsitz sein. Rein von der Hierarchie her betrachtet wäre de.coke.com, it.coke.com, coke.com sinnvoll gewesen, aber die Realität ist ja nicht vernünftig. Gut, man kann noch argumentieren, dass ja verschiedene Tochterfirmen in dem jeweiligen Land agieren, und diese so die verschiedenen Länder-TLDs belegen.

Meiner Meinung nach haben es die Firmen damals jedenfalls verkackt, dieses an sich praktische hierarchische System sauber umzusetzen und v.a. auch zu kommunizieren – es musste ja unbedingt <marke>.<ccTLD> sein [also z.B. coke.de], anscheinend traute man dem Verbraucher nicht zu, <land>.<marke>.com [de.coke.com] einzutippen *seufz* (hinzu kommt vielleicht noch, dass die Marketingfuzzis mit "möglichst kurz = möglichst gut" argumentierten).

Und nun stehen wir da, möglichst jede Firma in möglichst jeder TLD einmal vorhanden... Und es kommen ja nicht nur die Firmennamen hinein, auch Produktnamen! Da wirds dann richtig lustig, wenn unterschiedliche Produkte (vllt. noch in unterschiedlichen Ländern) gleich heißen (siehe z.B. iPad in China) – wer darf dann unter der (fiktiven) Domain ipad.cn seine Informationen publizieren, Apple oder Proview? Mit http://cn.apple.com/ipad hätte es dieses Problem gar nicht erst gegeben (oder ipad.cn.apple.com oder cn.ipad.apple.com oder ipad.apple.com/cn – man kann sich die eigene Hierarchie ja zusammenbauen wie man lustig ist, ein RFC dafür wäre wahrlich ein Segen [gewesen]).

Statt dessen hat man die Namensräume mit identischen Begriffen zugekleistert – da hätte man sich die Hierarchie gleich sparen können.

(Un)Sinn

Und genau das passiert nun eigentlich: die Firmen und Marken wandern an die oberste Stelle, die Hierarchie wird endgültig ad absurdum geführt. Allein wenn man die ersten paar Einträge der veröffentlichten Liste durchgeht muss man fast schon weinen (in Klammern dahinter mein Gegenvorschlag nach Hierarchie-Schema):

  • ALLFINANZBERATER (berater.allfinanz.de)
  • BAYERN (bayern.de)
  • CANCERRESEARCH (cancer.research.net/.org)
  • DOMAINS (?!?)
  • EUROVISION (eurovision.eu/.org)
  • FORD (ford.com)
  • GUARDIANLIFE (guardianlife.com)
  • HYUNDAI (hyundai.com)
  • ...

Diese Liste zeigt aber schön, für wie wichtig sich so manche Firma hält...

Manche der neuen gTLD-Vorschläge wären ja vielleicht noch eine nützliche Partition, z.B. MED (dort könnte medizinischer Kram wie Hospitale, Apotheken, ... zusammengefasst werden) – kurz gesagt: alles, wofür es keinen Oberbegriff in der Hierarchie mehr gibt (denn es handelt sich ja um Top Level Domains, von denen wir hier reden).

Die überwiegende Mehrheit der neuen gTLD-Vorschläge ist jedoch völlig kontraproduktiv in die Breite gehend statt hierarchisch-partitionierend – manchmal könnte man einfach nur an der Menschheit zweifeln, wenn man diesen Rückschritt sieht, der wohl vermutlich wieder einmal der Gier geschuldet ist.

Zusammenfassend würde ich daher sagen:

tl;dr

Mein Gott, diese ganzen Markenhansel haben doch einen an der Klatsche! Für jede Marke eine eigene gTLD, was für eine hirntote Partitionierung (bzw. dann schon Fragmentierung) des Namensraumes...

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